Warum wir uns bei Komplimenten oft unwohl fühlen – und wie man das ändert
Kennst du das auch? Jemand sagt begeistert: „Wow, das hast du toll gemacht!“, und statt vor Freude zu strahlen, fühlst du dich unbehaglich. Du wirst rot, murmelst etwas wie „Ach, das war doch nichts“ oder lenkst das Gespräch in eine ganz andere Richtung. Wenn dir das vertraut vorkommt, bist du nicht allein. Viele von uns tun sich schwer damit, Lob zu akzeptieren – ein Phänomen, das tief in unserer Psyche und Sozialisation verwurzelt ist.
Doch warum fühlt sich etwas, das eigentlich stärkend wirken sollte, häufig so unangenehm an? Und wie können wir lernen, Komplimente gelassen und souverän anzunehmen?
Das Kompliment-Paradoxon: Wenn Anerkennung für Verwirrung sorgt
Unser Gehirn schätzt Konsistenz. Wenn uns jemand etwas Nettes sagt, prüft unser inneres System sofort, ob dieses Feedback zu unserem Selbstbild passt. Wenn nicht, schlägt es Alarm. Wer von sich glaubt, durchschnittlich zu sein, empfindet Aussagen wie „Das war brillant!“ schnell als übertrieben oder gar als falsch.
Inkonsequente Informationen lösen oft kognitive Dissonanzen aus – unser Gehirn versucht, diese Unstimmigkeit aufzulösen, indem es das Kompliment entwertet: „Das ist nicht ernst gemeint“ oder „Sie wollen nur nett sein“.
Deutschland und die Bescheidenheitsregel
Besonders im deutschsprachigen Raum gilt Bescheidenheit als Tugend. Phrasen wie „Eigenlob stinkt“ sind uns seit der Kindheit bekannt. Selbstzurücknahme wird mit Anstand gleichgesetzt, während Prahlerei als Arroganz gilt.
Wer Komplimente annimmt, könnte Gefahr laufen, als eingebildet wahrgenommen zu werden – eine tief verankerte Angst in unserer gesellschaftlichen Erziehung. Dieses kulturelle Ideal erschwert es vielen von uns, aufrichtiges Lob zu akzeptieren, ohne es zu relativieren oder sich zu schämen.
Die Psychologie dahinter: Warum unser Gehirn Komplimente sabotiert
Der Impostor-Effekt – das Gefühl, ein Hochstapler zu sein
Viele Menschen plagt das Impostor-Syndrom, ein innerer Glaube, dass Erfolge nicht verdient sind, sondern auf Zufall oder Glück basieren. Komplimente verstärken diesen inneren Konflikt noch weiter – plötzlich stehen wir im Mittelpunkt und fühlen uns ertappt.
Die Psychologin Dr. Pauline Clance beschrieb, wie Betroffene fürchten, als „Betrüger“ entlarvt zu werden. Jedes Lob wird zur Bedrohung, weil es eine Leistung hervorhebt, an die man selbst nicht glaubt.
Wie du lernst, Komplimente anzunehmen
Schritt 1: Muster erkennen
Beobachte dich selbst: Wie reagierst du auf Komplimente? Führe eine Woche lang ein kleines Tagebuch:
- Welche Komplimente hast du bekommen?
- Wie hast du darauf reagiert?
- Was hast du dabei empfunden?
- Welche Gedanken kamen dir dabei?
Alle Veränderungen beginnen mit Bewusstsein. Wenn du deine automatischen Reaktionen kennst, kannst du sie auch aktiv beeinflussen.
Schritt 2: Die Zwei-Wort-Formel
Eine einfache, aber effektive Methode: Sag „Danke schön“ oder „Vielen Dank“ – und sonst nichts. Keine Relativierung, keine Rückgabe, kein Kommentar. So lernst du, Anerkennung einfach stehen zu lassen. Das wirkt selbstbewusst – und fühlt sich nach einigen Wiederholungen auch so an.
Langfristige Strategien für mehr Selbstvertrauen
Die Erfolgs-Pyramide
Kleine tägliche Erfolge schaffen ein solides Fundament. Die Regel: Setze dir erreichbare Mini-Ziele – und feiere, wenn du sie schaffst. Das kann sein: „Heute trinke ich genug Wasser“ oder „Ich schreibe jemandem eine nette Nachricht“.
Diese Erfolge stärken dein Selbstbild langfristig – und machen es dir leichter, Komplimente zu akzeptieren.
Die Stärken-Inventur
Erfrage bei Freunden und Familie, welche Stärken sie in dir sehen – und notiere deine eigenen. Viele positive Eigenschaften nehmen wir selbst gar nicht mehr wahr. Hänge die Liste sichtbar auf. Dein Gehirn braucht Wiederholung, um etwas als Wahrheit zu akzeptieren.
Komplimente sind kleine Geschenke. Und wie bei jedem Geschenk gilt: Wer es annimmt, macht dem Schenkenden eine Freude. Wer es ablehnt, unterbricht eine Verbindung.
Du musst nicht lernen, dich selbst zu bejubeln, aber du kannst lernen, in Worten der Wertschätzung nicht den Angriff zu sehen, sondern die Anerkennung. Und manchmal – ganz ehrlich – hast du einfach etwas richtig gut gemacht.
Das nächste Mal, wenn dir jemand sagt: „Toll gemacht!“, probier’s doch einfach mit: „Danke schön.“
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